Liebe Freundinnen und Freunde,
„Unser heutiges Europa ist sterblich, es kann sterben“; Macron hat es wieder getan. Sieben Jahre nach seiner ersten großen europäischen Grundsatzrede an der Sorbonne in Paris, mahnte er an gleicher Stelle am 25. April erneut an, das Europa und die europäische Union Reformen benötigt, um langfristig jenes Europa zu bleiben, dass wir heute kennen und schätzen.
So wie es 2017 Angela Merkel nicht schaffte auf Macrons Vorschläge einzugehen, ist es 2024 Kanzler Olaf Scholz, der Macrons Vorstoß und die damit verbundene ausgestreckte Hand mehr oder weniger ignoriert. Die Berliner Nicht-Reaktion ist angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine, der Erfahrungen aus der Corona-Pandemie, des schwindenden politischen und wirtschaftlichen Einflusses Europas und der Versuche zur Wiederbelebung des „Weimarer Dreiecks“ (Frankreich, Deutschland, Polen) für mich noch weniger nachvollziehbar als das Berliner Schweigen 2017. Es stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die deutsche Bundesregierung eine Vision der Zukunft Europas hat, die über die wirtschaftlichen Vorteile, die die europäische Union bietet, hinausgehen.
Auch wenn Geschichte sich nicht wiederholt, so ist es dennoch interessant, was Clemens Wenzel von Metternich (späterer österreichischer Außenmister) zur Zeit der Koalitionskriege um 1800, zu Papier brachte. „Preußen ist es gewohnt, nur dann zu arbeiten, wenn es offensichtlich zu seinem eigenen Vorteil ist, das ist alles, worauf es schaut, und Europa würde vor seinen Augen verschwinden, wenn es von seinen Bemühungen abhinge, es zu retten.“ Nun kann man die geopolitische Lage in Europa um 1800 nicht mit der heutigen vergleichen, dennoch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass es in der jüngeren europäischen Geschichte oftmals eher konservative Politiker:innen waren, die sich um den Zustands Europa sorgten und Visionen skizierten und umsetzten. Ob nun der zitierte Metternich mit dem Bestreben um ein Gleichgewicht der Mächte im 18. oder im 20. Jahrhundert Adenauer und Kohl, die großen Reformen gingen meist leider nicht von progressiven Kräften aus.
Am 09. Juni finden die Europawahlen statt. Von einer Europa-Euphorie, wie es sie noch im Wahlkampf 2019 gab, ist derzeit wenig zu spüren. Im Gegenteil, die Wahlen zum Europäischen Parlament aber auch die Kommunalwahlen treten in ihrer öffentlichen Wahrnehmung hinter die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zurück. Das ist insofern bedauerlich, da damit die beiden Enden, der große europäische auf der einen und der lokale Rahmen auf der anderen Seite, des Subsidiaritätsprinzips nicht die Aufmerksamkeit zu Teil wird, die beide eigentlich verdienen. Umso wichtiger ist es, dass zumindest wir in unserem Wahlkampf auf die Bedeutung der beiden Ebenen hinweisen, und die Menschen motivieren zur Wahl zu gehen.
Michael Jahn
für den Kreisvorstand