Als Grüne hatten wir viel vor. Wir wollten die Bundestagswahl deutlich gestärkt gewinnen. Einige Voraussetzungen waren günstig: Wir hatten einen enormen Zuwachs an Mitgliedern, eine hoch motivierte Parteibasis und es gab keine groben Schnitzer im Wahlkampf. Dennoch blieb das Ergebnis deutlich hinter vielen Erwartungen zurück. Woran lag das?
Der Start der „Ampel“-Koalition war zugleich eine harte Bewährungsprobe: Es galt, nach dem russischen Angriffskrieges auf die Ukraine entschlossen zu handeln, um die Energieversorgung in Europa zu sichern und zugleich die Folgen der Inflation abzufedern. In den Sonntagsfragen stiegen wir ab Ende April 2022 bei verschiedenen Instituten auf Werte von um 20 Prozent, im Juni 2022 erstmals auf 25 Prozent und im August auf 26 Prozent, gleichauf mit der CDU/CSU. Der Höhenflug hielt einige Monate an. Ab Mai 2023 fielen wir in den Umfragen auf unter 15 Prozent ab. Was war geschehen? Ende Februar 2023 wurde das „Heizungsgesetz“ im Stadium eines Referentenentwurfs durchgestochen und Robert Habeck geriet stark unter Druck. Den Grünen schadete zunehmend der in der Öffentlichkeit verbreitete Eindruck, es werde praxisferne und unsoziale Politik von oben herab betrieben. Im Jahr 2023 kehrte zudem das Flüchtlingsthema zurück und wurde für viele Menschen zum bestimmenden Thema. Wir wissen, dass unsere Wählerinnen und Wähler bei diesem Thema etwa zur Hälfte einen liberalen und zur anderen Hälfte einen schärferen Umgang erwarten. Hinzu kam, dass die Ampel-Koalition insbesondere über den Streit wahrgenommen wurde. Dabei war die Koalition durchaus erfolgreich und setzte in ihrer verkürzten Amtszeit immerhin 60 Prozent ihrer Koalitionsvereinbarungen um – die meisten im Klimaschutz. Zunächst wurden ausschließlich SPD und FDP in der politischen Stimmung abgestraft, doch zunehmend wurden auch wir Grüne von der schlechten Stimmung erfasst. Den Ausgang der Wahl kennen wir alle. Doch wo haben wir genau verloren, wo gepunktet? In der Sinus-Milieu-Studie wurden 10 gesellschaftliche Gruppen gebildet und deren Wahlverhalten im Vergleich zu dem dreieinhalb Jahre zuvor verglichen. Als Grüne konnten wir einzig in der Gruppe des „Postmateriellen Milieus“ zulegen (plus 11 Punkte auf 34 Prozent). Am stärksten verloren haben wir im „Expeditiven Milieu“ (von 29 auf 13 Prozent). In den Milieus der Mitte unter die Fünf-Prozent-Hürde gefallen sind. Besonders schlecht schneiden wir in den modernisierungsskeptischen Milieus ab.
Längst ist klar, dass unser Weg nun in die Opposition führt. Wir sollten als Grüne einen konstruktiven Oppositionskurs führen und uns nicht durch die (lauten) anderen Oppositionsparteien unter Druck setzen lassen. Die Oppositionszeit sollte genutzt werden, um dort zuzustimmen, wo wir etwas für richtig halten und (ggf. mit scharfer Kritik) abzulehnen, was wir für falsch halten. Zugleich sollten wir die Zeit nutzen, um unsere inhaltlichen Konzepte weiterzuentwickeln und ministrables Personal aufzubauen. Wir sollten also daran arbeiten, dass es mit der nächsten Bundestagswahl einen Regierungswechsel mit starken Grünen, die sich gut aufs Regieren vorbereitet haben, geben wird. Wichtig bleibt, dass wir unsere Kommunikation weiter verbessern und insbesondere auch die Präsenzen in den sozialen Netzwerken ausbauen.
Meine ausführliche Analyse findet Ihr hier: https://www.matthias-gastel.de/gruende-des-scheiterns/
Text: Matthias Gastel MdB